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Gemächlich schlendern Roberta und Sophie durch die Winternacht nach Hause. Es ist an dieser letzten Chorprobe im alten Jahr spät geworden. Doch obwohl ein kalter Wind die Schneeflocken durch die Lüfte wirbelt, haben es die Frauen nicht eilig. Schliesslich ist Adventszeit – und in der Adventszeit ticken die Uhren auch bei ihnen etwas langsamer.

Beim Dorfplatz bleibt Roberta stehen und fragt ihre Freundin mit zögerlicher, fast zerbrechlicher Stimme: «Wäre es deinem Mann möglich, mir in diesem Jahr beim Aufstellen des Weihnachtsbaumes behilflich zu sein? Bis jetzt hat Fredi immer unseren Weihnachtsbaum besorgt. Aber seit er gestorben ist …»

«Selbstverständlich helfen wir dir. Wie wäre es, wenn wir morgen alle zusammen einen Baum aussuchen gehen?», sagt Sophie und legt liebevoll ihren Arm um die Freundin. Da verwandelt sich die Trauer in Robertas Augen in Dankbarkeit.

Während sich die Frauen noch umarmen, wird es heller und heller. Überrascht blicken sie in den Nachthimmel. Doch weder eine Sternschnuppe noch ein Flugzeug sind zu sehen. Das Leuchten stammt von der Dorflaterne. Dieser Laterne, die schon seit Urzeiten hier steht und die, seit sie denken können, noch nie gebrannt hat. Ist das ein eigenartiger Zufall oder steckt vielleicht mehr dahinter?

Sophie, die sich schon immer für die Dorfgeschichte interessiert hat, will es genauer wissen. Also geht sie am anderen Tag in die Bibliothek und sucht nach Informationen zu dieser geschichtsträchtigen Laterne. Stundenlang stöbert sie in den alten Büchern, bis sie schliesslich an einem Satz hängen bleibt: «Verschenkt euch! Nur so könnt ihr Licht und Wärme in die Herzen eurer Mitmenschen bringen!»

Tief berührt geht Sophie nach Hause, schreibt die Botschaft mit einem goldenen Stift auf eine Tafel und verziert das Ganze mit vielen kleinen und grossen Sternen. Dann nimmt sie die Tafel unter den Arm, spaziert ins Dorf und stellt sie unter die Laterne.

Es dauert nicht lange und ein paar Neugierige gesellen sich zu ihr. Sie wollen wissen, was es mit diesem Satz auf sich hat. Sophie erzählt, was sie letzte Nacht erlebt hat, berichtet von ihren Recherchen und wiederholt mit feierlicher Stimme: «Verschenkt euch! Nur so könnt ihr Licht und Wärme in die Herzen eurer Mitmenschen bringen!»

Nun ergreift ein junger Mann das Wort: «Mein Grosi hat mich vor ein paar Tagen gebeten, ihr beim Waschen und Aufhängen der Vorhänge zu helfen, weil sie dies alleine nicht mehr schafft. Genau das werde ich heute Nachmittag tun – ich werde meiner Grossmutter diesen Tag schenken!» Noch während er erzählt, fängt die alte Laterne an zu flackern, bis sie schliesslich klar und hell leuchtet.

Voller Staunen blicken die Menschen einander an. Immer mehr Dorfbewohner gesellen sich dazu. Wieder ergreift jemand das Wort: «Ich muss mit meinem Kater zum Tierarzt, doch mein Auto ist kaputt. Hätte jemand Zeit, uns zu fahren?»

Wieder lässt die Unterstützung nicht lange auf sich warten und wieder strahlt die Laterne noch heller als je zuvor. Stunden später – unterdessen haben sich alle Dorfbewohner bei der Laterne versammelt – bitten die Menschen einander um Hilfe. Sie sprechen über ihre Sorgen und Nöte im Alltag und sorgen gemeinsam dafür, dass die alte Dorflaterne für immer weiterbrennt.

 

PDF der Weihnachtskarte 2011